Flimmerskotom (2015)

Performance

Gregor Glogowski / Alisa M. Hecke / Benjamin Hoesch

 

Sehen – immer mehr von etwas sehen und dabei versuchen, die Form dessen zu identifizieren, und mag das Gesehene noch so flüchtig, unscharf oder formlos sein. FLIMMERSKOTOM spielt mit den Potentialen defizitärer Wahrnehmung, kippt den Theaterraum auf die Seite und kartographiert ihn neu, macht Licht hörbar, Klang spürbar, blendet mit Dunkelheit und verbirgt im Hellen.

Die Faszination des Theaters liegt nicht nur im Sehen, sondern erwächst mindestens ebenso sehr aus dem, was man nicht oder nur unvollständig sieht. Der Auftritt im Rampenlicht schafft Realitäten, doch im Dunkeln, hinter Vorhängen, unter dem Bühnenboden und im Souffleurkasten lauern die Potentiale dessen, was noch kommen kann: Utopien, Sehnsüchte, Ängste – oder Enttäuschung, Entzauberung und Erkenntnis. FLIMMERSKOTOM untersucht die Potentiale des (Nicht-)Sehens im Theater. Was sich im Dunkel nur vermuten lässt – die Monstrosität der Bühne, ihre Energie und magische Kraft – wird selbst durch ein reflektierendes Spiel von Erscheinen und Verbergen neu beschworen. Die Zuschauer werden auf die Erkundung eines Ortes mitgenommen, den sie in seiner konventionellen Verwandelbarkeit schon zu kennen glauben, durch das radikale Erproben der Prinzipien und Mittel dieser Verwandelbarkeit aber neu erfahren werden.


KONZEPT Gregor Glogowksi, Alisa Hecke, Benjamin Hoesch TECHNISCHER SUPPORT Frida Illig

 

AUFFÜHRUNGEN

LAB Frankfurt

07. Februar 2015 / 16. April 2016

 

Körber Studio Junge Regie

Thalia Theater Gaussstraße Hamburg

13. Juni 2015

 

Radikal Jung

Münchner Volkstheater

22. April 2016                                

 

Tonlagen-Festival

Festspielhaus HELLERAU

20. Oktober 2016

 

Scenofest, World Stage Design Festival

Man Fei Theatre Teipeh, Taiwan

05. Juli 2017

gefördert vom Goethe-Institut Taiwan

 

Transeuropa Fluid Warm-up

Kulturfabrik Löseke, Hildesheim

16. November 2017


Flimmerskotom, Körber Studio ©Krafft-Angerer
Flimmerskotom, Körber Studio ©Krafft-Angerer
Flimmerskotom, Transeuropa ©EllaFiebig
Flimmerskotom, Transeuropa ©EllaFiebig


FLIMMERSKOTOM spielt mit den Weiten des schwarzen Bühnenraums, es bietet den Augen und Ohren seiner Zuschauer*innen ein Schauspiel; es ist ein Theater. Wer jedoch eine klare Narration erwartet, einen vorgegebenen Plot, gar menschliche Akteure auf der Bühne, die ihn verhandeln, der wird enttäuscht. Was in FLIMMERSKOTOM vor allem agiert, snd Dinge: der riesenhafte Turm, das Ensemble aus unterschiedlichen Lampen und Leuchten, die Projektoren und Lautsprecherboxen. FLIMMERSKOTOM ist ein Theater der Dinge, ein Theater des Lichts und des Sounds, des Rhythmus und des Raums. (...) Die Arbeit am Nullpunkt des Theaters ist auch immer eine Arbeit an seinem Material. Glogowski, Hecke und Hoesch gehen in ihren Arbeiten nicht von einem Inhalt oder Thema aus, am Anfang steht immer die Auseinandersetzung mit einer Materialität. Wie kann Licht mehr sein als nur etwas, das etwas Anderes beleichtet, und selbst wirken? Welche Wirkungen hat Klang auf die ihm Lauschenden? Wie kann auch der menschliche Körper jenseits aller Bedeutungsebenen wieder in seiner Eigenschaft als Signifikat, als materieller Bedeutungsträger erscheinen? Das Theater von Glogowski, Hecke, Hoesch ist ein Theater der Materialität - und in diesem Sinne eines Spiels mit dem Toten und mit dem Lebendigen. In FLIMMERSKOTOM wird der einzige menschliche Körper, der den Bühnenraum betritt, so weit reduziert, verlangsamt, verdunkelt, dass er auf einer Ebene mit den wiederum belebten Objekten, den kreisenden Scheinwerfern und rollenden Projektoren und bebenden Lautsprechern und sich biegenden Gerüstelementen agiert. Temporäre Skulpturen bauen sich auf und verschwinden wieder beim nächsten Schlag des allgegenwärtigen Rhythmus.
Philipp Schulte: Theater am Nullpunkt. In: Engels/Sucher [Hg.]: Alles ist Theater. regisseure von morgen, Henschel, 2016

Ja, dieses Monstrum steht hier im Mittelpunkt. Aus den Trassen und somit den klassischen Raumstrukturen des Theaters befreit, leuchten diese Lampen den Theaterraum hier nicht mehr nur an oder aus, sind keine technischen Hilfsmittel mehr. Sie treten dem Publikum als eigenständige Entität entgegen, scheinen einen eigenen Willen zu haben – der Turm hat sich zu Beginn des Abends zunächst warmgeblinkt, (...) immer schneller wurde der Rhythmus, in welchem die Lichter aufflackerten, immer heller ihre Leuchtkraft. Der rhythmische Eindruck wird durch eine ausgeklügelte Soundkulisse intensiviert, die aus den technisch verstärkten Geräuschen der Apparaturen selbst und wechselndem Scharren, Zirpen oder auch physisch erfahrbarem Bassdröhnen besteht. (…) Umso deutlicher nimmt das Publikum jedoch den einen Menschen wahr, der sich auf der Bühne bewegt (…) deckt die Gemachtheit dieses Maschinentheater auf. (…) Struktur, Rhythmus und Materialität rücken in den Vordergrund. Erzählmuster werden nicht angeboten. Das Maschinentheater wirft auch das Publikum auf die Frage nach seiner eigenen Beteiligung am Theaterprozess zurück. Plötzliche Helligkeit im Zuschauerraum erzeugt ein Gefühl des Ausgestelltseins, des Ausgeliefertseins. FLIMERSKOTOM spielt mit den Rollen von Akteuren in sozialen Systemen, will althergebrachte Strukturen und Narrative aufbrechen.
Sofia Glasl, cult online, 23. April 2016

 

Das kann ein Zeichen sein. Die Zuschauerreaktionen sprechen sogar dafür, dass es sich hier um ganz viele Zeichensetzungen handelt. Sie halten ihre Hände schützend vor die Augen oder senken den Blick. Manche schauen auch nach hinten ins Publikum. Die Zahl derjenigen, die hier Notizen machen, ist größer als sonst (…) in erster Linie liegt das an dem verstörend-schönen Auftaktstück von Radikal Jung. (…) Einziger Akteur ist ein fast fünf Meter hoher Turm aus analogen Scheinwerfern, der sich bedrohlich hin und her bewegt und nicht selten seine volle Leistung ins Publikum feuert. (…) Zusammen mit dem ruhig-beunruhigenden Soundfile, das nur aus bearbeiteten Geräuschen der Lichtanlage besteht, entwickelt sich so etwas wie ein Lightroom der Orientierungslosigkeit, vielleicht auch Solaris 4.0.
K. Erik Franzen, Frankfurter Rundschau, 29. April 2016


Eine wortlose Performance von Lichtgerätschaften, die Helligkeit und Geräusche erzeugen, ein Sirren und Kreischen, Blenden, Flimmern und Flackern, eine Feier des Materials, die man als dezidierte Sinnverweigerung oder freischweifende Assoziationsaufforderung verstehen kann, als angenehm oder als beliebig.
Barbara Burckhardt, Theater heute, 08/2015